Eine grosse Kriegserklärung an die Liebe

Summen, Brummen, Kratzen.
In meinem Auge, in manchen Venen.
Bewegungen unter meinem Fleisch.
In meinen Haaren, aus meinem Mund…

Blick auf eine graue Raufasertapete. Die Oberfläche des Mondes, vielleicht. Kaum ein Geräusch. Irgendwo… so weit weg, ein paar Wohnungen weiter, ein Pärchen im Streit.

Irgendwo anders… andere Wohnung, läuft ein Radio, vor sich hin. Auf dem Dach, befüllt die Nachmittagssonne, die Depression, mit Trauer und Giftgedanken. Die Augen zum Horizont, auf dass aus der Ferne irgendetwas kommen möge, das uns alle auf wundersame Weise doch noch rettet. Vielleicht Gott, vielleicht die Flut. Ein Sturm, ein Krieg. Endlich Aufwachen aus einem zerfahrenen Alptraum.

Eine Radiostimme erklärt

“Mit Staub und Speichel schafft die Stachelarmee Chaos inmitten der Ordnung von Zeit und Raum…”

Ein Knacken, kurzes weißes Rauschen, ein letzter Satzfetzen

“…bis aufs Blut, um ihre Königin zu beschützen…”

Bildzittern. Vom Weinen verschmiertes Make-Up, rote Augen und rote, tränenüberlaufene Wangen, in Nahaufnahme. Bildwackeln. Die Frau schreit, holt aus. In Zeitlupe. Ein alter Fernseher, in einer anderen Wohnung, mit offenem Fenster… ein Musikvideo. Sie ohrfeigt den Mann. Ohne Ton. Kurzes Standbild davon. Die wunderschönsten, heissblütigsten Frauen, die du je gesehen hast, tanzen sinnlich, schwingen ihre vollen Hüften, schauen verführerisch, lecken sich sinnlich über ihre feuchten, vollen Lippen, berühren sich sinnlich. In Zeitlupe. Eine Hand, zum Lautstärkeregler, Radio lauter. Eine Hand, zum Küchenmesser, eine Hand zum Gewehr, eine Hand in die Pillendose, eine Hand, ans Herz. Radio lauter. Sie rollen ihre Zungen, schauen gierig, schauen sündig, so sinnlich. Sie wollen nur Sex. Den besten Sex auf Erden. Mit dir. Nur mit dir! Eine Hand, hält ein Kindheitsfoto. Alles lauter. Ohne Ton. Sie stöhnen immer wieder auf, wenn sie gerade nicht singen. Ihre Körper sind vor Geilheit elektrisiert. So sinnlich, so sinnlich, so perfekt. Er steht auf dem Hochhausdach. Sie schütteln ihre Haare, kreisen ihre Hüften. Schaut über die Stadt. Klatschen sich auf ihre wohlgeformten, sinnlichen Hinterteile. In Zeitlupe. Und bieten sie dir an, während sie dich mit ihren Blicken verschlingen. Du kannst uns alle haben. Schließt seine Augen. Hinter ihnen, ein grandioses Feuerwerk zum Finale. Springt. Iss mich, mein Gebieter, trink mich. Lässt sich fallen. Du weisst, ich gehöre dir. Lässt los. Nur dir, dir alleine. Ohne Ton. Ein halboffener Mund, mit benässten Lippen, in Nahaufnahme, beisst sich sichlich auf die Unterlippe. Eine Handvoll weißer Tauben, schreckt hoch, in den blauen, wolkenlosen, Himmel. In Zeitlupe. Kurzes Standbild davon. Sie schauen hoch, streichen sich vorne über ihre Hälse, räkeln sich sinnlich, Feuerwerk, Blitze, sinnlich, feuern ihre langen Beine auseinander, sinnlich, greifen sich in den Schritt, sinnlich, und stöhnen immer wieder auf. Ohne Ton. Sie wollen dich und du willst sie. Der Mann stößt die Frau zurück, sie stolpert. Komm! Fällt hart, Stößt ihren Kopf. Ich komme! In Zeitlupe. Mehr Feuerwerk! Sinnliches Stöhnen, leidenschaftliches Flehen, rasender Atem, Herzschlag. Sie bricht, in tausend tote Splitter. Ohne Ton. Bildzittern. Keiner ist im Raum. Die Wohnung ist leer.

Alle. Bienen, Wespen und Hornissen. Erheben sich. Alle. Himmel. Schwarz. Wütend. Tosend. Rasend.

Schwarzer Schirm. Stille. Dann, rechts unten im Bild, ein verwackelter Kreis aus zagem Licht. Ein OP-Tisch?

Eine Radiostimme erklärt

“Ich mache einen langen, präzisen Schnitt mit dem Skalpell. Klappe die Fleischwände vorsichtig auf, drücke und wische das viele blubbernde und aufspritzende Blut zur Seite, so weit es geht

und

((Alle Menschen. Verlieren das Bewusstsein. Fallen in sich zusammen.))

und

((Gebäude krachen auseinander und große Trümmer zu Boden.))

und

((der Gott der Liebe trinkt Gift nachdem er alle Kinder erstochen hat.))

und

((Dornen aus schwarzem Eis schießen überall auf der Welt aus dem Boden.))

und

lege mein Herz darunter frei. So frei, so frei. Es schlägt und pumpt und zieht und drückt. Pumpt und pumpt. Es war schon immer wertlos, hat nie richtig funktioniert. Ich mache einen weiteren Schnitt, schneide es in der Mitte auf. Bildzittern. Noch mehr Blut, überall.

Jetzt liegt es offen mein Herz — in Blut, Gift, Säure und Schmerz.

Aus dem Loch in meiner Brust, dem klaffenden Spalt, in der Mitte meines Herzens, kriechen, angestrengt strampelnd, erst in Klumpen und dann einzeln, leicht betäubt scheinende, Bienen, Wespen und Hornissen. Winden sich mit aller Kraft hoch und liegen dann erschöpft an der Oberfläche, putzen sich, schauen sich verwirrt um, werden langsam wach. Ihre Augen. So klein. So klein, so klein. Und trotzdem. Sie schauen direkt in meine Seele. Gott hab’ Gnade, mit uns allen. Jetzt. Denn wir sind verloren. Plötzlich gibt das unnütze Herz einen nassen Speilaut von sich, verkrampft sich, entspannt sich wieder

und

((Und was? Was???))

und

((Was hörst du?))

und

((WAS?))

und

((Dornen aus schwarzem Eis schießen aus den Augen und Mündern der Leichen, die überall auf der Welt herumliegen und bewegen ihre Körper noch ein letztes Mal, als sie sich durch den Stoßdruck ungelenk aufbäumen, zur Seite rollen, oder weiter fallen.))

und

speit und spuckt unaufhörlich, Millionen und Abermillionen, unendlich viele, riesengroße, wildgewordener Bienen, Wespen und Hornissen in die Welt.

Sie fliegen. Sie fliegen, sie fliegen Mutter, oh wie sie fliegen. Mein Herz krampft und speit und spuckt noch immer, immer weiter. Voller Zorn, Wut und Weltschmerz. Ganz ohne Ziel. Zerstörend, vernichtend, beissend und stechend. Umkreisen sie kreischend, die ganze Welt. Bald ist alles begraben unter Heerschaaren von Henkern. Und nicht einmal den Himmel kann ihnen noch trotzen.

Sie haben endlich einfach alles, totgestochen.

Stiller Planet. So still, so still. Satelliten im Orbit umkreisen ihn, sinnlos geworden. Für einen- und viele tausend Tage.

Ich falte mein Herz und dann das Loch in meiner Brust vorsichtig wieder zu. Heile die Wunde, mit meinem linken Zeigefinger und der göttlichen Hilfe aller Propheten, aller Religionen. Nicht mal eine Narbe, ist zu sehen. Ich denke mir, fein, und sie stimmen mir zu.

Es ist Winter. Alle Bienen, Wespen und Hornissen sind erfroren. Und ich treffe mich endlich wieder, mit neuen Menschen, überall auf der Welt. Es wird immer neue Menschen geben. Sie lachen, ich grinse. Mein Herz schlägt.

Ich denke an die neue Generation von Bienen, Wespen und Hornissen, noch stärker und wütender, als jemals zuvor, die ich in meinem Herzen, brüte.

Ich weiss, ich bin, kein guter Mensch.

Ich lege einen Arm um einen neugemachten Freund. Er is so voller Wünsche und Träume, dass er flackert und vibriert. Er lächelt mir zu, ich grinse zurück.

Ich klopfe mit meiner freien Hand, auf meine linke Brust und muss laut lachen (er lacht mit, was soll er tun), weil ich ein erstes, neues Summen, in meinem Herzen vernehme.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

 

Omid Golbasi