Einflugschneise

Ich schaue hoch in den Himmel, der sich nach einem verregneten Sommertag jetzt, abends, doch noch geöffnet hat, für einen wundervoll vollen Sonnenuntergang, mit mächtigen orange-lila Wolken, die am Firmament regelrecht explodiert zu sein scheinen. Ein perfekter „Vanilla sky“. Es weht ein kalter, feuchter Abendwind und alles ist erfüllt von diesem magischen, grell gelb leuchtenden Licht, während die Sonne langsam am Himmel hinter Wolken verschwindet. 

Ich schaue hoch in den Himmel. Überall tanzen schwarze, blinde Flecken in meinen Augen herum und erinnern mich daran, dass ich schon längst verloren habe.

Ein Flugzeug taucht aus den Wolken auf und verschwindet dann wieder in anderen Wolken vor sich. Befindet sich wohl im Sinkflug in Richtung Flughafen München, denke ich mir.

Flughäfen, meine Lieblingsorte. 

Die einen landen, kommen endlich an oder müssen umsteigen und fliegen dann weiter, die anderen stehen erst am Beginn ihrer Reise und fliegen weit, weit weg, ans andere Ende der Welt.

„Flug 287, Starterlaubnis erteilt. Next on runway.“

Ich denke an den so unglaublich riesigen Airport in Atlanta, mit seinem eigenen Zugsystem, an dem ich eine Handvoll Male war. Oder an den Flughafen in Frankfurt, an dem ich als kleiner Junge aus dem Iran nach Deutschland ankam und als Teenie mit meinen Eltern in den Türkei-Urlaub bin. An den Flughafen in Teheran kann ich mich auch noch (wenn auch so gut wie gar nicht mehr und sehr schwach) erinnern. Es war ein sonniger Tag im Iran, als ich vor 37 Jahren ausgereist bin, das weiss ich noch.

Die Wolken am Himmel bewegen sich langsam.

Auf Reise sein. Gibt es etwas aufregenderes in einem Menschenleben? 

In einem Stahlvogel über die grossen Ozean fliegen, um auf einem anderen Kontinent anzukommen. All die neuen Eindrücke, neue Menschen und neue Ideen. Ein Leben lang auf Reise sein, das wär‘s! 

Ankommen ist ja ganz ok, aber dieses sich in seiner Heimat niederlassen wird wirklich überbewertet. Mir tun alle, die sich gern ein eigenes Haus kaufen oder bauen wollen, irgendwie total leid. 

„Die eigenen vier Wände, das eigene Heim. Ein Zuhause als Basis und Verwurzelung in seiner Heimat sein eigen nennen.“ 

Warum die Leute so daeauf abfahren ist mir wirklich ein Rätsel. Wenn ich was besitze, dann hält es mich doch nur an einem Ort fest – und ich will doch weiter! Wohin? Weg von hier. 

Meine Ex-Frau hat mir mal gesagt, dass es mir doch noch nirgends gefallen habe und es mir nirgends gefallen würde. Ich also in dieser Hinsicht ein hoffnungsloser Fall sei. Und mein Psychiater steckte mir mal, dass ich wie meine Mama auch, ein Nomadenherz entwickelt hätte, weil ich keine Wurzeln habe, die mir eine Heimat geben könnten. 

Darauf kann ich nur sagen: Es muss mir auch nirgends gefallen müssen, wenn ich bis an mein Lebensende auf Reise sein dürfte / würde. Mir gefallen Flughäfen, Hotels, Lobbies, Flugzeuge, Busse… 

Und Wurzeln und Heimat sollte man sich immer wieder neu aussuchen dürfen. 

Ich habe ca. 7 Jahre in Weinstadt verbracht. Das war wie Heimat für mich. Da war ich gerne. Inmitten der vielen Weinberge, Berge und Täler. Keine Ahnung warum, aber da habe ich mich zum ersten Mal daheim gefühlt in Deutschland. Ist aber auch schon wieder rum und zurückgehen is‘ nicht. Zurückziehen an einen Ort, an dem man schon mal gewohnt hat, ist für mich wie Verlieren, im Leben. Das geht gar nicht.

Wir wollen wieder heim und laufen langsam zurück.

Was wohl gerade in genau dieser Minute, überall auf der ganzen Welt passiert? Was machen alle gerade? Genau jetzt! Ich wäre gerne überall und alle – gleichzeitig. 

Hier geht gar nichts. Hier ist die Zeit stehengeblieben und das finden die Menschen hier auch noch voll gut. 

Ich weiss, viele werden mich nicht verstehen, viellciht ticke ich auch nicht ganz richtig… Mann, ich bin zu jung für gar nichts (tun)! 

Ich schaue auf dem Nachhauseweg immer wieder hoch. Das kann einfach noch nicht alles gewesen sein. Da draussen, genau da draussen. Wo alles ist und ich nicht bin.

Omid Golbasi