Gedankenschniposa #4

„Ich glaube nicht, dass das so funktioniert.“ Er glotze mich glubig an. „Ich glaube, der Automat steht mehr auf… na ja… menschliche Geldwährungen. Verstehen Sie? Sie brauchen Euro.“

Er schaute auf seine gelbe, kleine Muschel und konnte nicht begreifen, dass man hier nicht mit Seegeld handelte. Dann schaute er wieder hoch zu mir, ohne etwas zu sagen. 

„Wie viel brauchen Sie denn?“ Ich kramte in meiner Hosentasche nach meinen Münzen. Er öffnete den Mund und seine Lippen bewegten sich, doch er sagte wieder nichts. Er „blubbte“ nur lautlos und glotzte weiterhin dumm aus der Wäsche, mit seiner ollen Muschel in der kleinen Flosse. Er war ein Goldfisch und er wollte was aus dem Automaten. Manchmal sind die Dinge ganz einfach, blubb?

Ich fand einen Euro in meiner linken Hosentasche, warf ihn ein und bückte mich zum Fisch hinunter, um ihn hochzuheben, damit er besser sehen konnte, was er denn wollte. Doch er erschrak sich, sprang panisch zurück in den Teich und war weg. Als ich wieder aufstand, überlegte ich mir, warum jemand einen Snack-Automaten in den Garten und direkt neben den Teich gestellt hatte. Das lockt nur die Fische an, das weiß doch wohl jeder. Und wenn der Automat dann auch nicht fischgerecht und barrierefrei ist, dann haben wir den Salat. Wie konnte man nur so unbedacht sein. Ich drehte mich um, schlenderte zu meinem Wagen und packte den Euro wieder in die Hosentasche. 

Wie hatte sich der Fisch das ganze nur vorgestellt? Es war unmöglich, es war verrückt. ER war verrückt. Ein offensichtlich geisteskranker Goldfisch, mit Lust auf Snacks. Und was lässt er sich raus? An einem Mars-Riegel knabbert oder vielmehr, mümmelt er (zahnlos) doch für Wochen. Es sei denn, ein großer weißer Hai kommt vorbei und hat auch Lust auf Schokolade. Ich wette, denen schmeckt nur weiße Schokolade. Aber würde die Schokolade im Wasser nicht fast augenblicklich weich werden und sich langsam auflösen? Und was, wenn er sie verliert, gleich nach dem Auspacken und auf einmal schwimmt da so ein brauner, glitschiger Stift durch die Weltmeere. Wer würde sich da trauen, herzhaft reinzubeissen, ohne zu wissen, ob es nun auch wirklich Schokolade war, oder eine elende Kackwurst? Das wäre schön doof und die anderen Fische würden einen dann voll auslachen, weil man Scheisse gefressen hat – und zwar freiwillig! Da ist dein Social-Status als Weltmeerbewohnender aber ganz schnell im Keller. „Ieh kuck mal, da kommt der Kotnascher!“ üürden die anderen sagen und mit ihren kleinen nackten Flösschen auf einen zeigen. Zack, Ruf als angsteinflössendstes Raubtier der Meere dahin. „Kuck mal, der hat letzt erst noch so dumm siegessicher gekuckt, sich voll gefreut und dann in Scheisse reingebissen! Hahahaha, wie dumm! Vor dem haben wir keine Angst mehr.“ 

Wie viele Kackwürste wohl gerade im Meer herumtreiben? Und wie viele große, weiße Haie da gerade reinbeissen, weil sie denken, es sei (leider nun mal nicht weiße) Schokolade!? Was ne katastrophale, geschmackliche Enttäuschung! Die stehen dann ganz dumm da. Wobei… wieso Weltmeere? Das war doch nur ein Teich. Kacken Menschen auch in Teiche? Bestimmt sogar. Hmm,… hab noch nie irgendwelche Kackwürste in Teichen gesehen. 

In Gedanken versunken, schüttelte ich langsam den Kopf und stieg in mein Auto. Steckte den Schlüssel rein, drehte ihn und ließ den Motor aufheulen. „Nicht sooo grob, das tut weeeh!“ Ich ließ den Schlüssel los, murmelte genervt etwas zu mir selbst und stellte den Gang ein. „Boah, sind wir wieder gelaunt! Vorhin noch total ok und jetzt wieder wie der Pisser vor dem Herrn. Was hamwa denn wieder? Unsere Tage? Haben wir unsere Tage, du kleine Pussy? Voll die wild mood swings herrje, komm doch endlich mal klar, ist ja furchtbar. Was bist du denn für ein abgefuckter Mutterficker?!“ Ich drückte auf das Gaspedal und fasste mit beiden Händen ans Lenkrad. „Musst du immer so reden?“ Ich schaltete weiter hoch. „Wie denn? Du bist doch der, der sich wie ein schwanzloser, abgefuckter Stricher benimmt…du dämlicher Hurensohn.“ Ich schaltete weiter und unterbrach ihn: „Mann, genau das meine ich! Warum musst du wirklich immer so vulgär sein? Ich verstehe, dass du als meine Karre auch ein Wörtchen mitreden magst, aber diese Beschimpfungen… wo kommt das überhaupt her verdammt? Das war doch nicht ab Werk so, oder?“ Mittlerweile waren wir auf der Landstrasse. „Mexico.“ „Was?“ „MEXIKO!“ „Mann was war in Mexiko?“ „Daher habe ich das.“ Wir fuhren weiter. Ich überlegte, wo die olle Schrottkarre schon überall gewesen war und mit wem sie alles schon zusammengelebt hatte. War ich der Beste? Waren die vor mir, viel besser als ich? Ich hatte ihn als Gebrauchten gekauft, aber von Mexiko war da nie die Rede. Ich fuhr und dachte nach. Im Radio plärrte „Abrissbirne Helene“ von der Metalband „Eisbecher“, dessen Sänger, „Der Fürst Pückler“ erneut zum Refrain ansetze. Ich schaltete aus. Wir fuhren weiter. Keiner sagte mehr was. 

War das vorne auf der Strasse in der Ferne… ein Grenzposten? Waren das Polizisten? „Was zum Teufel?“ Ich fuhr langsamer und schließlich langsam an drei bewaffnete Polizeibeamte ran. „Guten Tag die Herren! Vom Zoll?“ Sagte ich und versuchte dabei so gut gelaunt wie nur möglich zu klingen. Ich spürte ihre prüfenden Blicke auf mir und lächelte angestrengt. „Was suchen Sie hier?“ blaffte mich der Linke an und dachte gar nicht daran, meine Frage zu beantworten. „Ich, ich… ich fahre…“ (Komm‘ schon, warum so nervös? Du hast doch gar nichts angestellt oder zu verbergen. Just a regular motherfucker, mehr nicht. Es gibt absolut keinen Grund nervös zu sein, also reiss dich zusammen.) „Ja ich, ich, ich – Mensch! Bist du behindert!?“ schrie mich der mittlere Typ an. Hatte er mich da gerade nachgeäfft? „Hier ist Endegelände, mein Freund.“ sagte der auf der rechten Seite, der kleinste von ihnen. Was war hier eigentlich los? Ich grinste und schüttelte nur den Kopf, als wolle ich darauf hinweisen, dass mir die ganze Situation zu viel war, um sie zu verarbeiten, geschweige denn, zu meistern. Jetzt setzte der mittlere Typ entnervt wieder an: „Junger Mann, verstehen Sie uns? Hier nix fahren machen. Diese nix gut.“ Ich kam endlich zu mir. „Entschuldigung, was ist hier nochmal los? Brauchen Sie was von mir?“ Und nochmals die Frage: „Sind Sie vom Grenzschutz, oder vom Zoll?“ Sie schauten sich kurz gegenseitig an. „Ah sieh mal an, ES kann ja doch reden. Wir stehen hier, weil es ab hier nicht weitergeht. Auch nicht für Sie. Ganz einfach.“ Ich runzelte die Stirn. „Sie müssen umdrehen!“ rief der eine und „Überall hin nur nicht hier.“ der andere. Sie gingen auseinander und der uniformierte aus deren Mitte, machte mit seiner Hand und seinem Finger eine kreisförmige Wendebewegung in die Luft. Ich solle das Auto zurücksetzen und wieder zurück fahren. Ich schaltete die Kupplung und setzte meine Karre langsam zurück. Dabei muss ich so ratlos und dämlich geschaut haben, dass der Typ wohl dann doch noch etwas Mittleid mit mir hatte und in etwas ruhigerem Ton sagte „Bis diese defekte Einheit repariert ist, kann man hier nicht weiterfahren. Das muss erst neu konfiguriert werden.“ Ich schaute hinter ihn, kniff die Auge zusammen und sah wie einige hundert Meter entfernt, viereckige Teilstücke der Realität fehlten. Viereckige Löcher aus Schwarz. Aus nix. Wie defekte Paneele eines grossen Bildschirms, die ausgefallen waren und die man austauschen musste, damit dort auch wieder etwas angezeigt werden konnte. Ich lächelte, bedankte mich nochmals mit einem Kopfnicken und kleinem Fingerwink und fuhr los. Dass die Simulation immer wieder defekte Teile hat, weiß jedes Kind, aber wenn man viel Glück hat, gibt es seltene Momente, wo man es selbst mitbekommt. Wie wenn man eine Sternschnuppe sieht, nur noch seltener. Passiert schon, aber echt nicht oft. Die wollen das nicht. Wir sollen das nicht sehen. Und ich hab’s nicht kapiert. Ich grinste mittlerweile. Ich Dummkopf nur so, hä, was ist hier denn los und wer sind Sie, hä, hö… Wenn die nicht gewesen wären, wer weiß, in welche Scheisse ich da reingefahren wäre. Keinen Bock auf Datenverlust oder andere Komplikationen. Und dass die einem nicht gleich auf die Nase binden, von welchem Teil des Supports der IT die sind, ist auch klar. Das ist so ultra hochkomplex, Normalsterbliche können damit rein gar nichts anfangen. Ich meine, das sind diese Supercomputer, die in 11 Dimensionen denken, unzählige Quantenkerne haben und was weiß ich was noch so. Irgendwas mit „Strings“ war da auch noch. „Du hättest ruhig auch was sagen können!“ sagte ich zum Auto und bekam sofort ein „Fick dich, Arschloch!“ als Antwort. „Na toll, jetzt muss ich voll den Umweg fahren…“ beschwerte es sich dann auch gleich lautstark und warf mir ein paar Beleidigungen hinterher. Irgendwann waren wir wieder am Automaten neben dem Teich angelangt, ich schaute natürlich rüber, als wir vorbeifuhren und sah den ollen Fisch schon wieder vor dem Automaten warten.

Ja gut, jetzt weiss ich halt auch nicht…

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Omid Golbasi